23. Dezember 2013

Weihnachten


Am Rande

Das Helle und das Dunkle


Jeden Morgen komme ich auf meinem Weg zur Bushaltestelle an einem Fenster vorbei in dem während der Adventszeit eine kleine Stadt aufgebaut ist. Kleine Häuser aus Ton stehen nebeneinander und aus allen ihren Fenstern leuchtet es. Selber würde ich mir so etwas bestimmt nicht ins Fenster stellen und doch muss ich jeden Morgen lächeln, wenn ich schon von Weitem wieder den hellen Lichterschein erkennen kann. In der Dunkelheit des Morgens leuchten mir die Häuser den Weg und ich stelle mir vor, was hinter jedem der kleinen Fenster passieren könnte. Hinter dem Fenster im Obergeschoss eines Fachwerkhauses stelle ich mir eine kleine Familie vor. Vater, Mutter, Kind. Sie frühstücken zusammen. Hinter dem Fenster eine Etage tiefer sehe ich eine Frau im Bad. Sie steht vor dem Spiegel und weint, während sie mit einem Finger über die große Narbe in ihrem Gesicht streicht. Im Haus nebenan flackert das Licht in einem Fenster. Ein alter Mann steht auf einem wackligen Stuhl und versucht die alte Glühbirne in der Fassung wieder festzudrehen. Neben ihm wohnt ein altes Ehepaar. Es scheint nur ein schwaches Licht aus dem Fenster. Der Ehemann schläft noch, die Frau hat im Schlafzimmer die Nachttischlampe angeschaltet und liest in einem Gedichtband. Ein weiteres Haus steht etwas abseits. Ein junges Paar steht im Wohnzimmer und streitet darüber wer am gestrigen Abend vergessen hat das Licht im Flur auszuschalten. Hinter den Fenstern passieren helle und dunkle Dinge. Nicht nur in der Adventszeit, sondern das ganze Jahr über. Meistens bekommen wir nur mit was hinter unserem eigenen Fenster geschieht. Und wir wissen, selbst wenn es nach außen hin hell leuchtet, kann es innen manchmal sehr dunkel sein. So kann auch das Licht, das wir aus anderen Fenstern scheinen sehen, trügen. Dennoch freue ich mich jeden Tag über ein Licht, das mir auf meinem Weg begegnet. Kann es doch immer ein Licht des Hellen sein, auch wenn ich es nicht genau weiß. 

Foto: PublicDomainPictures/pixabay.com

5. Dezember 2013

Kinotipp

Film

Popcornfreie Zone
Das Walzenlagerkino in Oberhausen

Lange Warteschlangen, der Geruch von Popcorn, roter Teppich, Blockbuster.
Das erwartet man, wenn man ins Kino geht. Im Walzenlagerkino in Oberhausen findet man nichts davon. Von außen erkennt man nicht einmal richtig, dass es sich um ein Kino handelt.
 


Foto: PublicDomainPictures/pixabay.com

Ein niedriges Backsteingebäude mit kleinen Fenstern, eine große grüne Tür, die außer im Sommer, immer geschlossen ist. Wer zum ersten Mal das Walzenlagerkino besucht, zögert wahrscheinlich. Innen erwartet einen der Vorraum mit einer kleinen Bar. Popcorn gibt es nicht, dafür verschiedene kalte Getränke. Geht man nach rechts, kommt man in einen größeren Raum, der Gelegenheit zum Sitzen bietet. Vom Vorraum aus geht es geradeaus in den Vorführraum. Hier findet man doch etwas rotes. Die Sitze. Platz ist für circa 50 Leute. Früher wurden die Filme noch von der Rolle gezeigt, jetzt ist es auch hier digital. Die Leinwand ist nicht groß, aber ausreichend. Bevor der Film startet, gibt es Musik zu hören. Werbung läuft fast keine, dafür Vorschauen zu Filmen, die demnächst ebenfalls zu sehen sind.

Programm

Die Filmauswahl ist exklusiv. Blockbuster und Actionfilme sucht man vergebens. Dokumentationen, Filme, die Preise gewonnen haben, von denen die meisten noch nie gehört haben, Filme aus allen Herren Ländern gibt es im Programm. Eben Filme von Qualität. Filme, die sonst meistens nirgendwo laufen, die sich aber mehr lohnen, als der ganze Hollywood-Einheitsbrei.

The Broken Circle

Am Montag lief im Walzenlagerkino „The Broken Circle“. Das Drama gewann auf der diesjährigen Berlinale den Panorama-Publikumspreis. Der Regisseur Felix van Groeningen, der auch "Die Beschissenheit der Dinge" drehte, adaptierte das, vom Hauptdarsteller des Films geschriebene Theaterstück, und machte daraus einen Film: Der Bluegrass-Sänger Didier und die Tätowiererin Elise verlieben sich ineinander. Eine unbeschwerte Zeit beginnt. Musik, Verliebtheit, Sorglosigkeit.
Als ihre Tochter Maybelle zur Welt kommt, wird das Glück nur noch größer. Bis diese an Leukämie erkrankt und stirbt. Was diese Katastrophe mit den Protagonisten und ihrer Liebe zueinander macht, ist das Kernthema des Films. Die Chronologie der Ereignisse wird dabei nicht eingehalten.
Das trägt vor allem zur Vielschichtigkeit des Filmes bei. Die vielen, von den Darstellern live gesungenen, Bluegrass-Songs verstärken die gezeigten Emotionen noch.
Am Ende bleibt Traurigkeit, gemischt mit einem leisen Lächeln.
The circle is broken.

Der Film wurde an fünf Tagen im Walzenlagerkino gezeigt. Sechs Personen haben ihn sich angesehen. Das ist eine weitere Besonderheit des Kinos. Es kommt nicht selten vor, dass man alleine im Saal sitzt. Schön, wenn man ungestört sein möchte, schade für so ein tolles Kino.
Es hätte mehr Publikum verdient.


Walzenlagerkino Oberhausen
Hansatraße 20

46045 Oberhausen
0208/85 97 877
Eintritt: 5€/4€
http://www.walzenlagerkino-ob.de/

3. Dezember 2013

Wahnsinnsstory

Kurzgeschichte
 

I'm bulletproof, nothing to lose!


Außer den nackten Wahnsinn der mich befallen hat. Der mich dazu gebracht hat, diese Sache zu tun und mich nun in dieser Situation wiederzufinden. Doch was man einmal hat, auch wenn es ein nackter Wahnsinn ist, will man doch behalten. Aufheben, den Reißverschluss am Körper öffnen und es gut im Herzen verstauen, so kann man es nicht mehr verlieren. Selbst wenn man von Kugeln durchlöchert wird, denn das Herz mit seinem Panzer aus rostfreiem Stahl ist unverwüstlich. So laufe ich nun über Stock und Stein, kreuz und quer, hierhin und dorthin und bleibe doch stehen, denn rostfreier Stahl ist ziemlich schwer. Und der nackte Wahnsinn wiegt trotz der fehlenden Kleidung auch noch mal ein gutes Kilo, weil es etwas mehr sein durfte. An der Fleischtheke, wo ich den Wahnsinn erstand. Dieser war im Angebot. Und wer lässt sich schon ein Wahnsinnsangebot entgehen? Nur leider entpuppte sich der Wahnsinn als ziemlich wildes Fleisch und übernahm, trotz des Sitzes im Herzen, die Gewalt über das Gehirn. Was dann folgte, kann aus Rücksicht auf schwache Herzen nicht erzählt werden, nur so viel: auch Wahnsinn, besonders nackter, kann sich vermehren.
Beim nächsten Mal darf es etwas weniger sein!