25. Februar 2014

Frei Sein

Kurzgeschichte


Büroarbeit


Der Tag hatte kaum begonnen, nein eigentlich war er schon fast vorbei, doch das Vergehen der Zeit, das wie geschmolzene Marshmallows in den Gedanken hängt, ist eine subjektive Größe.
Mit den Vögeln und der Sonne aufgestanden, auch wenn diese am frugalen Frühstück nicht teilnahmen, hatte der Tag um 10:13 Uhr schon fast seinen Zenit überschritten. Und das obwohl noch 7 Stunden bis zum Frei-sein vergehen mussten. Eine kleine Freiheit wartete aber schon in kurzen 3 Stunden, die Mittagsfreiheit. Zeit sich die angestaubten Beine zu vertreten, den Magen mit kleinen Dosen Essbarem zufriedenzustellen und einmal für eine Stunde nicht den Eindruck erwecken zu müssen, eine kleine, fleißige und beschäftigte Biene zu sein. Aufgrund der vielen zu füllenden Zeit, bleiben Gedankenspiele nicht aus. Da öffnet man gerne das Fenster, holt sich mit einem Lasso eine Wolke herein, sitzt auf und reitet davon oder das Handy klingelt, die nicht vorhandene Videofunktion springt an und ein Mann in Anzug, aber mit einem milden Lächeln, bietet einem einen Traumjob mit Traumgehalt als Gegenleistung für die Produktion von Träumen an. Doch in Wirklichkeit sind nur 7 Minuten vergangen und nichts ist passiert. Traurig scheint die Sonne herein, lässt ihre Strahlen hängen und verdeutlicht nur die Staubmassen im Büro. Schlaf im Kopf, wäre eine Alternative, doch woher nehmen, wenn nicht beim Kollegen stehlen? Da, plötzlich kommt Arbeit auf und der Segen dauert sogar bis zum Frei-sein. Strom aus, Jacke an, Grußgemurmel, Tür zu, Fahrt nach Hause, Tür auf, Lächeln! Frei sein!

13. Februar 2014

Beitrag zum Meerbuscher Literaturpreis 2014

Kurzgeschichte

Der Traum vom großen Hecht


Der Tag ist windig und regnerisch. Schon seit dem Morgen. Die grauen Wolken stapeln sich wie alte Zeitungen. Selbst jetzt am Abend haben sie sich keinen Zentimeter fortbewegt. Der Wind hat aufgegeben sie wegzupusten. Keine Chance. 

Foto: AnnaER/pixabay.com
Und trotz des unwirtlichen Wetters sitzen sie da am Ufer des Rheins. Von weit oben könnte man sie für Möwen halten, die sich am Ufer, wie gewohnt, eine Pause gönnen. Tritt man jedoch näher heran, sieht man, dass es keine Möwen sind, sondern Menschen. Obwohl es doch eine Analogie gibt, sie fischen genau wie die Möwen im trüben Wasser. Eine endlose Reihe von nassen, frierenden Fischern. Jeder hält eine Angel in der Hand. Die wetterfeste Kleidung ist unterschiedlich, die Gesichter alle gleich. Eine Mischung aus Verzweiflung, Frust und Hoffnung. Jedes Gefühl tief eingegraben in eine eigene Falte. Sie fischen nur nach Einem. Aale, Barsche, Welse werfen sie wieder hinein.
Überhaupt ein Wunder, dass die Fische anbeißen, wo der Köder doch fast unfassbar ist. Zeit!
Jeder Fischer hat ein größeres oder kleineres Stück seiner Zeit an den Haken der Angel gehängt. Wenn sich der Zeitköder durch die Fische oder das Wasser aufgelöst hat, verlässt der Angler seinen Platz. Wahrscheinlich kommt er wieder. Vielleicht aber auch nicht. Dann sieht man ihn irgendwo in der Stadt, in der Bahn und man bemerkt nur noch zwei große Falten in seinem Gesicht.
Verzweiflung und Frust.
 
Sonja sitzt bereits zum fünfundvierzigsten Mal am Ufer. Die Angel in ihrer Hand ist alt, aber schön. Sie ist mit Schnitzereien versehen. Ein Erbstück ihrer Mutter. Mit einer Holzangel sitzt fast niemand mehr am Ufer. Die meisten haben Hightech-Karbon-Angeln mit automatischer Leinen-Einzug-Technik. Ihre Haken sind aus rostfreiem Stahl. Starke Angeln für den ganz großen Fang.
Heute hat Sonja eine Stunde als Köder angehängt. Sie war extra eine Stunde eher zur Arbeit gegangen, um die dadurch gewonnene Zeit als Köder benutzen zu können. Die gemeinsame Pause mit den Kollegen, die sonst immer viel Ablenkung bot, hatte sie auch ausfallen lassen, um pünktlich am Ufer zu sein. Es kam nämlich vor, dass alle Angelplätze schon besetzt waren.
Vor allem dann, wenn sich wieder einige Gelegenheits- und Kurzzeitangler darunter mischten.

Der Regen peitscht zusammen mit dem Wind in ihr Gesicht. Die oberste Schicht ihrer Kleidung ist bereits durchnässt. Ihre Hände umklammern die Angel so fest, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortreten. „Heute klappt es. Ich bin mir sicher!“ Dieses Mantra füllt ihre Gedanken vollkommen aus, lässt Kälte und Nässe von ihr abperlen. Gore-Tex für die Seele. War da nicht eine Bewegung zu spüren? Sonjas Herz schlägt schneller. Schlägt so schnell, wie der Regen auf sie nieder prasselt.
Ein kräftiger Ruck. Sonja springt auf, kann das Gleichgewicht sonst nicht halten. Sie zieht mit Leibeskräften – den Fisch an Land. Ein Hecht schaut sie nass an. Er lässt seinen grün-braunen Körper wild zucken. Tanzt den Tanz des Widerstands. „Vielleicht kann man ihn in unserem Teich halten“, überlegt Sonja, „die Kinder hätten sicherlich ihren Spaß daran“. Sie verwirft die Idee.
Sie hat ja nicht mal einen Eimer dabei. Der zappelnde Hecht kommt zurück in den Fluss.
Sonja löst ihn vorsichtig vom Haken, damit noch etwas Zeit hängen bleibt. 45 Minuten hat der Hecht schon verschluckt. Die restliche Zeit verläuft ruhig. Als der Regen aufhört, packt sie ihre Sachen zusammen und fährt nach Hause. Das Mantra bleibt heute wieder unerfüllt.

Nach einem positiv verlaufenden Arztbesuch bleiben Sonja noch zwei Stunden Zeit bis sie zur Verabredung mit ihrer besten Freundin muss. Die Angel liegt immer im Kofferraum. Sie biegt in Richtung Rhein ab, parkt das Auto und geht zu ihrem Stammplatz. Obwohl das Wetter besser ist als in den vergangenen Tagen, sind nur wenige Angler da. Die Sonne lässt das Wasser glitzern.
Touristen auf Ausflugsbooten lassen sich zum Winken hinreißen. Sie sehen in ihrer bunten Freizeitkleidung aus wie japanische Winkekatzen. Sonja winkt nicht zurück. Ihr Mantra verdrängt die Gedanken an den gestrigen schönen Abend mit ihrem Mann. Das Holz der Angel fühlt sich kalt an. Wie der Hecht vom letzten Mal. Nach einer Stunde ist nichts passiert. Die Wellen zerplatschen an den Steinstufen, die in den Rhein hinunter führen. Ihr Mantra zerschellt an den Gedanken, die sie plötzlich beschleichen. Ob es wohl schon jemals ein Angler geschafft hat, das an Land zu ziehen worauf alle hier hoffen? Es ist nur überliefert, dass man es hier angeln kann, aber ob es jemals geklappt hat, weiß niemand so recht. Zweifel machen sich in Sonja breit. Aber ihre Mutter hat hier auch schon immer geangelt und deren Mutter auch. Sonja fühlt sich nicht verpflichtet es ihnen nach zu tun. Etwas anderes drängt sie dazu. Die Tatsache, dass es möglich ist, dass alle anderen auch hier stehen und das Gleiche versuchen. Gelegenheit macht Diebe. In diesem Fall macht sie Angler.

Hat Sonja nicht alles was es braucht, um glücklich zu sein? Das kann nicht alles sein. Nicht wenn auch alle anderen nach mehr suchen. Fünf Minuten bleiben ihr noch. Sie holt weit aus, zerschlägt mit dem Haken die ruhige Wasseroberfläche. „Heute klappt es. Ich bin mir sicher!“
Der Haken sinkt durch das trübe Wasser weiter hinunter. Ein Gummistiefel bleibt am Haken hängen. Er ist vom Nachbarangler. Der verlor ihn vor Kurzem beim Kampf mit einem Hecht.
Vielleicht Sonjas Hecht. So stehen dort alle am Ufer. Mit ihrer Angel in der Hand. Sie opfern ihre Zeit für das Angeln nach dem großen Glück. Gefangen hat es bislang keiner.
Entweder es existiert nicht oder der gewaltige Hecht, der tief auf dem Grund lebt, hat es samt der ganzen Zeit aufgefressen.

7. Februar 2014

Krimi-Tweets

Aktion

Krimi-Tweets: 140 Zeichen bis zum Tod 

Krimis, die ein Twitterer beginnt und die dann durch Tweets anderer weitergeschrieben werden, sind nichts Neues. Das Prinzip gab es schon früher und da war es ein beliebtes Partyspiel.

Nur damals schrieb man auf Papier und die Anzahl der Zeichen war egal.

Bei den „Krimi-Tweets“ soll es jetzt noch kürzer zugehen. Das Verbrechen darf nur 140 Zeichen lang sein und ist damit abgeschlossen. Mehr Grenzen sind der Mordlust aber nicht gesetzt.
Den ersten Krimi-Tweet findet Ihr zu Eurer Inspiration auch hier noch einmal:


Herzrasen. Um die Ecke steht er. Er wartet mit dem Skalpell. Die Frau weiß noch nicht, dass ihre Augen die Trophäe sein werden. Licht aus.

Foto: geralt/pixabay.com
 Wenn Ihr meine Komplizen sein wollt, dann auf die Verbrechen, fertig, Mord!



4. Februar 2014

Beitrag zum Wettbewerb „Geschichten aus 1001 Fahrt“

Kurzgeschichte


Der Märchenzug

  

Es war einmal eine junge Frau, die jeden Tag mit der Bahn nach Köln fuhr, um dort ihrer Arbeit nachzugehen. Die junge Frau war von großer Herzensgüte und Geduld. Die Bahn mit der sie jeden Tag fuhr, war laut und übervoll mit Menschen. Doch die junge Frau dachte, sie würde mit einem Märchenzug fahren, denn es gab dort einen Mann dessen Stimme sie jeden Tag durch die Lautsprecher in der Bahn hören konnte und der aus einem Märchenbuch vorlas.

Das Märchenbuch beinhaltete 1000 und eine Geschichte, warum die Bahn zu spät war, stehen blieb, gar nicht kam oder zurückfahren musste. „Wir werden von einem verspäteten Zug des Fernverkehrs überholt“, „Wir haben eine Signalstörung, eine Stellwerksstörung, eine Bahnübergangsstörung, eine Triebwagenstörung“, „Es kommt zu Verzögerungen im Betriebsablauf aufgrund des Wartens auf Fahrgäste aus einem verspäteten Zug des Fernverkehrs, aufgrund des hohen Fahrgastaufkommens“, „Es brennt auf der Strecke“, „Es befinden sich Personen im Gleis“, „Personenschaden“,
„Ein Schienenbruch“, „Das Gleis ist noch durch einen anderen Zug besetzt“, „Notarzteinsatz“,
„Ein liegengebliebener Zug“, „Polizeieinsatz am Gleis“, „Laub, Schnee, Tiere auf den Gleisen“.

Jeden Tag gab es ein anderes Märchen zu hören, manchmal wechselten die Märchen sogar von Minute zu Minute. Und wenn nicht diese Art von Märchen erzählt wurde, dann gab es noch Geschichten von Fantasieorten, die der Zug oder andere Züge, in die man umsteigen konnte, anfuhren. So hörte die junge Frau von Orten, an die sie nicht mal in ihren kühnsten Träumen gedacht hatte: Liegée, Mäinz, Mönschengladbach oder Wubbertaal. Das alles war so märchenhaft, dass sich die junge Frau keinen besseren Ort als die Bahn vorstellen konnte, um dem grauen Alltag und der harten Realität zu entfliehen. Jedes Mal wenn die Bahn ausfiel, und das passierte nicht selten, wurde die junge Frau ganz traurig. Sehnsüchtig schaute sie auf die Informationstafeln, die, wenn sie nicht kaputt waren, davon kündeten, ob die Bahn kam oder nicht.

Doch dann, an einem grauen Novembermorgen, noch bevor die Sonne aufging, wartete die junge Frau am Gleis auf den Märchenzug. Doch dieser kam nicht, der einzige Zug, der kam, war pünktlich. Widerwillig stieg sie ein. Sie spitzte die Ohren und lauschte, wann endlich aus dem Märchenbuch vorgelesen würde. Aber diesmal blieb der Märchenerzähler die ganze Fahrt lang stumm. Pünktlich und ohne Probleme kam die junge Frau in dem ihr wohl bekannten Ort Köln an. Der Märchenzug war abgefahren. Für immer. Und wenn Sie heute eine junge, traurig aussehende Frau in einem pünktlichen Zug sehen, der ohne Probleme am richtigen Ort ankommt, dann wissen Sie wer sie ist. 


Foto: LoboStudioHamburg/pixabay.com