28. April 2015

Workers’ Memorial Day

Glosse

 Arbeit ist das ganze Leben

„In einer Welt, in der man nur noch lebt, damit man täglich roboten geht...“ sangen die Toten Hosen 1988, als sie noch keine Schmuseband à la Pur waren. Hat sich in den folgenden 27 Jahren etwas verändert?

Foto: JoaquinAranoa/pixabay.de
Nein. Es ist nur noch schlimmer geworden. Denn täglich heißt für manche Arbeitnehmer mittlerweile Montag bis Sonntag. Und wer sonntags nicht hinter der Theke steht und Brötchen verkauft, schaut vielleicht doch mal kurz im Smartphone die Arbeitsemails nach und geht trotzdem ans Telefon, obwohl der Chef an einem Samstagabend anruft. Arbeit ist alles in unserer Gesellschaft.
Die Deutschen arbeiteten 2013 durchschnittlich 40,4 Stunden pro Woche. Fast drei Stunden mehr als sie müssten. Und warum? Gibt es zu viel Arbeit für zu wenig Menschen? Angesichts der Arbeitslosenzahlen wohl kaum. Haben die Leute keine Lust auf Freizeit? Kaum zu glauben.
Doch wer Arbeit hat und mehr leistet als gefordert, der kann sich in der Anerkennung anderer sonnen bis er krebsrot wird. Wer Leistung bringt, wird geliebt. Wer faulenzt, wird geächtet. So einfach ist das. Doch woher kommt das? Wieso werden wir nicht dafür gelobt, wenn wir schonend mit unseren Ressourcen umgehen und lieber im Wald spazieren gehen, als vor lauter Arbeit den Wald nicht mehr zu sehen? Ehrlich gesagt: ich habe keinen blassen Schimmer. Ich verstehe sie nicht, diese Arbeitsroboter, die sich krumm machen, um vom Chef mit einem Lächeln bedacht zu werden. Überstunden? „Ach, die mach ich doch gerne.“, „Das muss halt sein“, „Sonst läuft der Laden nicht richtig“. Solche Sätze sind keine Seltenheit, auch weil sie mit wohlwollendem Nicken bedacht werden. Was würde passieren, wenn die buckelnde Bevölkerung Sätze zu hören bekäme wie:
„Du bist doch verrückt“ oder „Wie kann man nur so dämlich sein“? Da würden sie mit Sicherheit ganz schön dumm aus der Wäsche schauen. Einen Versuch wäre es wert, nächstes Mal, wenn der Schwager mit wehender Krawatte von der Arbeit zur Geburtstagsfeier hechtet und sich keuchend mit dringenden Telefonaten als Grund für das Zuspätkommen entschuldigt. Und vom Geburtstagskuchen bekommt er dann auch nichts mehr!

Am 28. April ist Worker's Memorial Day: Der internationale Tag des Gedenkens an Lohnarbeiter, die aufgrund von Arbeit erkrankt sind, verletzt oder getötet wurden.

14. April 2015

Psychodrama im Krimigewand

Rezension

Ingrid Elfberg: Die Frau des Polizisten


Eine Kriminalkommissarin ist trainiert, abgebrüht, clever und weiß sich zu verteidigen. Erika Ekmann ist es nicht. Jedenfalls nicht im Privatleben. Ihr Mann, der schöne Hüne mit dem blonden Haar und den stechend blauen Augen, misshandelt sie. Physisch und Psychisch. Nach jahrelanger Demütigung schafft es Erika in einer Nacht- und Nebelaktion zu entfliehen. Geplant hat sie trotzdem alles, auch ihre Versetzung auf eine Vertretungsstelle bei der Polizei in Göteborg. Dort findet sie Unterschlupf bei ihrer Freundin Anna und deren Mann Krister. Ablenkung bietet auch direkt der Fall der verschwundenen Architektin Barbro. An der Seite ihres neuen Kollegen Per beginnt ein ziemlich ergebnisloser Befragungsmarathon. Doch außer Drohungen von unzufriedenen Antragstellern, gibt es keine Spur, die Barbros Verschwinden erklären könnte. Zu einem wirklichen Problem wird das Auftauchen von Göran, Erikas Mann. Er zettelt eine Hetzkampagne gegen sie an, schafft es mit Lügen, sie bei den neuen Kollegen und Vorgesetzten in Misskredit zu bringen. Das geht soweit, dass Erika ihre Dienstwaffe abgeben muss. Und dann lauert er ihr auf.

Der zweite Roman der schwedischen Autorin Ingrid Elfberg lebt vor allem von der Beschreibung der Umgebungsstimmung und dem persönlichen Drama der Protagonistin. Der Fall um die verschwundene Architektin spielt eher eine nebengeordnete - und teilweise sogar langweilige - Rolle und bildet nur den Rahmen für die wirklich spannende Geschichte des Beziehungsdramas. Der innere und äußere Konflikt, den Erika auszutragen hat, lässt den Leser mitfühlen und Angst, um die Kommissarin verspüren. Das Psychodrama ist der eigentliche Fall.

Ingrid Elfberg
Die Frau des Polizisten
Aufbau Verlag

9,99 €

2. April 2015

Milch macht müde Männer munter, oder?

Die Milchquote macht's – nicht mehr



Seit Kurzem ist die europäische Milchquote passé. Die Regelung, die auch Kleinbauern bisher das Überleben sicherte, wurde zugunsten des Weltmarktes aufgegeben.

Kühe im Stall. (Foto: franzl34/pixabay.com)
 

50 Kühe grasen friedlich auf einer Weide. Ihre Milch verkaufte der Bauer zuletzt für 29,5 Cent/kg. Seit August 2012 liegt der Erzeugerpreis damit erstmals wieder unter der 30-Cent-Marke. Seit Monaten befindet sich der Preis auf einer Talfahrt. Eine Katastrophe, vor allem für Bauern mit einer geringen Anzahl an Milchvieh. Die laufenden Kosten lassen sich damit nur schwerlich decken. Kein Narr, wer dabei ans Aufhören denkt. Denn zusätzlich zu dem enormen Preisdruck, fällt jetzt auch noch die europäische Milchquote weg. Das seit 1984 bestehende Instrument wurde von der Europäischen Gemeinschaft eingesetzt, um den Markt vor den „Butterbergen“ und „Milchseen“ der 1980er Jahre zu schützen und somit die Preise für den Erzeuger stabil zu halten. Deutschland entschied sich damals dafür, das Modell der Produktionsquote anzuwenden. Jeder Milcherzeugerbetrieb konnte eine bestimmte Quote erwerben und war somit auf eine vorgeschriebene Produktionsmenge an Milch festgelegt. Um die Produktion ausweiten zu können, war es bisher nötig, Quote dazu zu kaufen. Durch das mehrheitliche Votum der EU-Mitgliedsstaaten wird die Milchquote nun nach 30 Jahren zu Grabe getragen. Landwirte können jetzt soviel Milch produzieren, wie sie möchten. Um einen harten Aufprall zu vermeiden, wurde die Quote bereits jährlich um ein Prozent angehoben.



Wachsen oder weichen“



Deutschland gehört neben Neuseeland, den USA, Frankreich, Australien und Irland bereits zu den Ländern mit den höchsten Milchüberschüssen. Die Überschüsse wurden bisher zu großen Teilen von Asien (mit 55% der Weltimporte, Stand 2013) aufgekauft. Die Nachfrage aus China ist seit Kurzem allerdings rückläufig. Auch die Russische Föderation, die zu den Ländern mit den höchsten Milchproduktionsdefiziten gehört, ist ein großer Abnehmer. Doch wird das aufgrund seiner Ukraine-Politik mit EU-Sanktionen belegte Russland momentan nicht mit Milch beliefert. Das übt Druck auf die Erzeugerpreise aus. Größere Milchmengen gepaart mit einer geringeren Nachfrage werden unweigerlich zu einer Senkung bei den Verbraucherpreisen führen. Die Kunden wird es freuen. Doch was ist mit den Milcherzeugern? „Der freie Markt wird einen großen Anpassungsdruck ausüben, wachsen oder weichen“, so sieht es Albert Trimborn aus Lohmar. Der staatlich geprüfte Landwirt betreibt das Bauerngut Schiefelbusch mit 60 Milchkühen. Er gehört zu den kleinen Milcherzeugerbetrieben, die den extremen Schwankungen des Weltmarktes schutzlos ausgeliefert sein werden. Um sich dagegen zu wappnen, setzt der Landwirt, wie einige andere seiner Kollegen, auf eine Direktvermarktung seiner Milch und Milchprodukte. „Wir haben schon reagiert und verarbeiten einen Teil unserer Milch auf dem Hof zu Käse und bieten Milch auf dem Hof direkt zum Kauf an. Dies werden wir in Kürze durch eine Milchzapfstelle professionalisieren. Weitere Schritte, wie das Abpacken der Milch und der Verkauf in nahen Verbrauchermärkten sind angedacht.“ Andere Höfe werden auf Wachstum setzen und die Milchviehanzahl erhöhen. Eine Tendenz dazu ist bereits sichtbar. Denn in allen Regionen Deutschlands wächst die durchschnittliche Herdengröße. Im Mai 2014 wurden in Deutschland 12,7 Millionen Rinder gehalten. Zum Jahr davor bedeutet das einen Anstieg von einem Prozent. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass Höfe mit 1.000 und mehr Kühen häufiger werden. Eine Entwicklung, die der Deutsche Bauernverband wohl genauso begrüßt, wie die Entscheidung gegen die Weiterführung der Milchquote. „Für unsere Milchbauern ist dies ein denkwürdiger Termin. Der Milchmarkt wird wie in den übrigen Agrarmärkten (...) nicht mehr planwirtschaftlich verwaltet, sondern gestaltet sich durch Angebot und Nachfrage“, erläutert der Deutsche Bauernverband auf seiner Verbandswebseite. Sahen viele Verbandsmitglieder in der Milchquote doch vor allem eine Geldmelkmethode der EU. Da die Bauern Millionen Euro als Superabgabe an Brüssel zahlten und für Wachstumswünsche zusätzlich in den Kauf von mehr Quote investieren mussten. Dies betraf aber hauptsächlich Großbetriebe, denen der Bauernverband bis heute große Unterstützung zukommen lässt.



Molkerei-Multis übernehmen den Markt



Im Biobereich lässt sich die Produktion kaum erhöhen, da hier der begrenzende Faktor nicht die Quote ist, sondern die Vorgaben des Ökolandbaus. Ob aber die Preise für Bioprodukte in den Sog der günstigen konventionellen Produkte geraten, kann man heute noch nicht beantworten“, bewertet die Biomolkerei Söbbeke den Wegfall der Milchquote für den Biosektor. Die Mehrheit an Söbbeke wurde 2013 vom französischen Molkereiriesen Bongrain übernommen. Wie biologische Milchwirtschaft und die Übernahme durch einen Molkerei-Multi zusammenpassen, beschreibt die Biomolkerei Söbbeke in einer Pressmitteilung so: In den vergangenen Jahren habe ich die Familie Bongrain gut kennen und schätzen gelernt. Beide Familien respektieren uneingeschränkt die Werte und die Identität der Biomolkerei Söbbeke. Mit diesem Schritt ist die Biomolkerei Söbbeke als weiterhin selbständiges Unternehmen auf die stark wachsenden Anforderungen des Marktes bestens vorbereitet“. Denn nicht nur bei den Milchviehbetrieben, sondern auch bei den Molkereien heißt es: größer und weniger. Von 1950 bis 2015 wird sich die Anzahl der Molkereien in Deutschland von 3401 auf 70 verkleinert haben. Multinationale Unternehmen wie Friesland-Campina oder Arla bestimmen den Markt. Kleine Molkereien haben da nur noch eine Chance, wenn sie sich, wie im Falle der Upländer Bauernmolkerei, zu einer eigenen Molkerei zusammenschließen. Denn auch in der Bio-Branche scheint kein Weg an einer Marktbestimmung durch Großunternehmen vorbeizuführen. Sobald die Supermärkte, allen voran die Discounter, einen niedrigeren Preis diktieren, haben auch die Molkereien nicht viel entgegenzusetzen. Die Molkereikonzerne müssen sich gegen Konkurrenten durchsetzen. Zweimal im Jahr handeln die Konzerne neue Abnehmerpreise mit dem Einzelhandel aus. Verschiedene Faktoren beeinflussen die Verhandlungen. Die Milchpreise hängen natürlich auch von der Nachfrage der Verbraucher ab. Börsenspekulationen tragen aber unabhängig von der Nachfrage zu schwankenden Preisen bei.



Die Tierhaltung verändert sich“



Um für die Milchproduzenten eine Hilfe zu schaffen, die sie auf dem freien Markt unterstützt, hat die Europäische Union die Europäische Milchmarktbeobachtungsstelle in Leben gerufen. Aktuelle Informationen zu Milchpreisen, Produktionsmengen und -kosten sowie Entwicklungen am Weltmarkt sollen den Bauern helfen, zeitnah reagieren zu können. Trotz angekündigter Hilfestellung seitens der EU, sehen Kleinbauern den Wegfall der Milchquote und den damit verbundene Wachstumsdruck auf Milcherzeuger kritisch: „Es wird zu den selben Erscheinungen kommen wie in den anderen „freien“ Märkten. Die einen werden sich als Kostenanpasser zum Wachsen gezwungen sehen, wodurch sich die Tierhaltung verändern wird. Stallhaltung als kosteneffiziente Haltungsform wird bevorzugt werden." Valentin Thurn, Regisseur des Films Taste the Waste, äußert sich in einem Interview mit dem WDR noch kritischer: „Je größer ein Hof oder Betrieb ist, desto schwieriger wird es, nachhaltig zu produzieren. Bei Betrieben ab einer Größe von 100 oder 200 Kühen werden die Tiere vorwiegend mit Kraftfutter ernährt. Das muss aber auf dem Acker angebaut werden. Und das ist gegenüber dem Grünland für das Klima eine Katastrophe. Wenn man dagegen für das Futter Maismonokulturen anbaut oder Soja - etwa in Lateinamerika, wo auch noch Regenwald abgeholzt wird -, dann beschleunigt das die Klimaerwärmung. Deswegen ist der gegenwärtige Trend bei der Milcherzeugung absolut katastrophal für unsere Umwelt." Diese weitreichenden Konsequenzen scheint in den EU-Mitgliedsstaaten niemand in Betracht gezogen zu haben, als die Entscheidung für eine Verbannung der Milchquote aus den europäischen Ställen getroffen wurde.