15. Dezember 2016

Wie man der Lohnsklaverei entkommt...



Rezension zu  "Ich bin raus" von Robert Wringham

 


Wir alle sitzen in der Falle. Wie die Maus, die gerne das fette Stück Speck hätte. Doch heißt unsere Falle: Arbeit und Konsum. Wie wir uns daraus befreien können, sagt uns der Autor und „Entfesselungskünstler“ Robert Wringham.

Robert Wringhams Buch „Ich bin raus“ ist in drei Teile gegliedert. Es hat eine klassische Ratgeberstruktur, in dem es zuerst die Ist-Situation des Lesers beleuchtet (Die Falle), dann die Soll-Situation erklärt (Freiheit) und schließlich im letzten Kapitel (Entfesselung) den Weg zur Soll-Situation darlegt.

Teil I beschreibt unser Leben in der Falle. Wringham startet im Unterkapitel Arbeit mit Beschreibungen von typischen Arbeitsverhältnissen und Situationen aus der Arbeitswelt, in denen sich ein Großteil der Leser wiedererkennen wird. Dazu kommen Erzählungen aus seinem eigenen Arbeitsleben. Besonders lehrreich an diesem Kapitel ist die Beleuchtung der Geschichte der Arbeit. Das Unterkapitel schließt mit dem Fazit „unserer“ Ist-Situation: Wir arbeiten um Geld zu verdienen, um zu konsumieren. Das Unterkapitel Konsum erklärt, welche negativen Auswirkungen Konsum auf uns hat und wieso wir so viel konsumieren: Es wurde uns eingetrichtert, dass Konsum gleichbedeutend ist mit Spaß. Und wer möchte bitte keinen Spaß haben, wenn er schon jeden Tag acht Stunden arbeiten muss? Welchen Part die Bürokratie in der Falle spielt und warum auch unsere „Höhlenmenschengehirne“ schuld an unserem Fallen-Dasein sind, erklären die letzten beiden Unterkapitel. In Teil II führt der Autor uns vor Augen, wie ein Leben außerhalb der Falle aussehen könnte. Das Stichwort ist hier: Das Gute Leben. Das Gute Leben besteht aus: in Frieden arbeiten, in Würde leben und sein Glück finden. Welche Voraussetzungen es dafür braucht, wie andere „Entfesselungskünstler“ leben und wie der Autor selber ein gutes Leben lebt, sind die zentralen Inhalte in Teil II. Nachdem der Leser weiß, wie die Falle aussieht und funktioniert und wie es anders gehen könnte, fehlen noch die Ratschläge, wie man sich daraus befreit. Diese folgen in Teil III. Der Autor macht zahlreiche Vorschläge, um der Arbeit, dem Konsum, der Bürokratie und unseren Höhlenmenschengehirnen zu entkommen und vergisst auch nicht, davon zu berichten, was nach der „Entfesselung“ wichtig ist.


Der Untertitel des Buches „Wege aus der Arbeit, dem Konsum und der Verzweiflung“ verspricht viel. Und dieses Versprechen wird gehalten. Was sich nicht von jedem Ratgeber sagen lässt. Die Beschreibung der Arbeits- und Lebenssituation vieler Menschen zu Beginn des Buches, trifft den Nagel auf den Kopf. Als Leser beendet man so gut wie jeden Satz mit einem Kopfnicken. Die Leichtigkeit der Sprache und der Humor des Autors helfen glücklicherweise dabei, nicht an der eigenen Situation zu verzweifeln. Und am Ende steht das Fazit, das man selber vor einiger Zeit schon gezogen hat. Doch man selbst hielt sich für einen Spinner, so zu denken. Das Buch lässt einen aber erkennen, dass man kein Spinner ist, wenn man sich danach sehnt, sein Leben jetzt zu leben und nicht erst nach 40 Jahren Lohnsklaverei, wenn es vielleicht schon zu spät ist. Und nach dieser Erkenntnis brennt der Leser darauf, endlich den Ausweg kennenzulernen - und der Autor zeigt uns welche auf. Und zwar für jeden: Teilzeitarbeit für vorsichtige Entfesselungskünstler bis hin zu verrückten Entfesselungsideen. Die Voraussetzung bei allen Auswegen ist immer eine Reduzierung des Konsums. Welche Möglichkeiten es dabei gibt, wird ebenfalls anschaulich erklärt, so dass der Leser am Ende das Gefühl hat, dass die Flucht wirklich gelingen kann. Die unterbreiteten Vorschläge sind nie realitätsfern und die Aussagen des Autors werden untermauert durch Verweise auf andere Autoren, auf historische Persönlichkeiten und Beispiele aus dem Hier und Jetzt. Ich bin froh dieses Buch gelesen zu haben, das mich daran glauben lässt, dass ein anderes, ein freies Leben möglich ist!

Broschiert: 336 Seiten
Verlag: Heyne Verlag (29. August 2016)
Sprache: Deutsch
ISBN-13: 978-3453270800

1. Dezember 2016

Fremde Seele, dunkler Wald



Rezension zu „Fremde Seele, dunkler Wald“  von Reinhard Kaiser-Mühlecker

 


Jakob und Alexander sind Brüder. Aufgewachsen sind sie mit ihrer Schwester auf dem elterlichen Hof in einem österreichischen Dorf in der Nähe von Wien. Während Alexander beim Militär im Ausland stationiert ist, bewirtschaftet Jakob den Hof, der kurz vor dem Zerfall steht.

Alexander ist 30 Jahre alt und arbeitet beim Militär. Aufgrund einer Verletzung ist er auf Heimaturlaub bei seiner Familie. Eigentlich wollte er Pastor werden und ging sogar – gegen den Willen der Eltern - auf das Stiftsgymnasium. Doch sein inniger Wunsch geht nicht in Erfüllung. Er beginnt stattdessen, Medizin in Wien zu studieren. Dort verliert er sich in Partys und losen Bekanntschaften und hält es irgendwann nicht mehr aus. Er geht zum Militär und lässt sich ins Ausland versetzen. Beim Militär findet er eine Gemeinschaft, in der er sich selber wiedererkennt: Menschen, die nicht so recht etwas mit sich anzufangen wissen, die es bei der Familie nicht aushalten, aber auch das Alleinsein nicht aushalten. Bei seinem Heimaturlaub wird ihm das wieder ganz bewusst. Mit seinen Eltern gibt es nichts zu reden und Jakob scheint kein rechtes Interesse mehr an ihm zu haben. Weil er die Tage fast nur im Wirtshaus verbringt, beschließt Alexander, früher als geplant, zum Dienst zurückzukehren. Die Zeit bei der Familie verblasst. Das Campleben und seine Geliebte vertreiben Alexander die Zeit. Doch mit dem Winter und dem Ende seiner Liaison kommen Langeweile und Schwermut auf. Er wechselt ins Verteidigungsministerium nach Wien, wo er bald eine Affäre mit der Frau seines Brigadiers beginnt. Was als eine belanglose Affäre beginnt, wird für Alexander zu einer großen Herausforderung.

Jakob ist 15 und arbeitet nach seinem Hauptschulabschluss auf dem elterlichen Hof. Der Vater muss Stück für Stück den Hof verkaufen und lässt Jakob mit der Arbeit alleine, während er immer neuen Verdienstmöglichkeiten hinterherrennt. Früher sah Jakob zu seinem großen Bruder auf, doch seit Alexander zu Besuch ist, geht ihm dieser mit seinem „militärischen Gebaren“ und seinen Unternehmungen nur noch auf die Nerven. Jakob hat keine richtigen Freunde. Aber er trifft sich regelmäßig mit seinem Schulkameraden Markus, weil sie ineinander sich selbst erkennen. Außerdem verbringt er viel Zeit bei Nina, obwohl er sie gar nicht richtig mag, nichts für sie fühlt. Die Arbeit auf dem Hof wird, ob der Verkäufe, immer weniger und Jakob beginnt, für eine Leasingfirma zu arbeiten. Nina wird schwanger und sie ziehen zusammen. Jakob ist froh vom zu Grunde gehenden Hof wegzukommen. Doch nach einiger Zeit hält er es bei Frau und Kind nicht mehr aus. Mord- und Selbstmordgedanken quälen ihn. So sucht Jakob Hilfe bei Markus. Doch bevor er diesem von seiner Not erzählen kann, bringt Markus sich um. Nina und er trennen sich und Jakob erfährt, dass ihr Kind von Markus ist. Als ein schlimmes Gerücht, Markus‘ Tod betreffend, die Runde macht, wird Jakobs Leben nicht leichter und er beschließt in die Fußstapfen seines Bruders zu treten.

Die Geschichte der beiden Brüder spielt im Hier und Jetzt. Doch trotz Handy, Laptop und Krimkrise scheinen die Protagonisten in einer Zeit zu leben, in der es außer der Arbeit, keine wirkliche Ablenkung zu geben scheint. Das Leben erhält seine Struktur durch die Jahreszeiten und wird von Arbeit bestimmt. Und obwohl die Jahreszeiten wechseln, kommt es dem Leser so vor, als sei es stetig Winter. So schwer lasten die beschriebenen Gefühle von Melancholie, Depression, Leere und Sinnlosigkeit auf den Brüdern und auf dem Leser. Ohne auch nur einmal beim Namen genannt zu werden. Die seelische Not, die die beiden Brüder empfinden, scheint bei Jakob am größten zu sein. Zuerst kommt er zu der Erkenntnis gar nichts zu fühlen, keine Leidenschaft zu kennen und nie kennenzulernen. Später wandelt sich dieses Nichts in eine unbändige Wut, um als Zustand eines innerlichen Zerreißens zu enden. Alexander, der im Gegensatz zum Bruder schon erwachsen ist, ist in seiner Entwicklung weiter. Er nimmt die Sinnlosigkeit seines Lebens fast stoisch hin. Die wenigen Stunden Freizeit, die nach der Arbeit bleiben, vertreibt er sich mit Wein und Lektüre und sehnsuchtsvollen Gedanken an seine ehemalige Geliebte. Er hat gelernt zu warten.

Die Sprache des Autors ist schlicht, es gibt keine ausufernden Beschreibungen, die den Blick auf das Wesentliche verstellen. Zuweilen könnte die Handlung des Buches als langweilig beschrieben werden, aber der Leser bleibt mit einem sehr nachhaltigen Eindruck der Gefühle der Protagonisten zurück.

Reinhard Kaiser-Mühlecker
Fremde Seele, dunkler Wald
Hardcover
Preis: 20 €
ISBN: 978-3-10-002428-2